Zeige deine Wunde! – oder: Verlorene Seelen

Schon am Karfreitag, der erstaunlicherweise kein Feiertag in Österreich ist, wurde man mitleidig angesehen, als man in "Frankreich" (Le Troquet) eine Überdosis "Le-Le-Le" ("Le Troquet Spécial") zu sich nahm – dort war sie, die Masse der partner- und familienlosen Menschen, die verdammt war in der Stadt zu bleiben (Tomak und Georg Friedrich gesellten sich auch dazu)… zusammen mit den Touristen. – Also ja nicht auch noch am Ostersonntag alleine sein, sondern einen Mann (Dank dem Himmel für diese abenteuerlustigen Männer!) schnappen und das tun, was man sonst nie macht: in die Kirche gehen.

Das "Hochglanzmagazin", das den Pater Friedrich Sperringer nach eigenen
Angaben zur Predigt inspirierte: Die österliche Kronen Zeitung (S.14-15/8.4.2012).
Der Sonntag in Wien, das ist an sich ja schon so eine spezielle Sache. Liebevoll könnte man ihn auch "Narrentag" nennen, aber der Ostersonntag erst! – Auch ein Button mit "Bitte sprechen Sie mich nicht an" würde wohl nichts helfen. – In der Straßenbahn bereits die erste Predigt von einer ältlichen Exil-Hannoveranerin, die sich nach achtzehnjährigem Aufenthalt immer noch nicht an die Stadt gewöhnt hat und in ihrer Expertise als Fotografin auch noch dazu auserkoren fühlte mir zu sagen, dass ich geschädigt durch die Werbung zu meinem Äußeren gezwungen werde. Sie entließ mich, das traurige Opfer der Künstlichkeit, mit den Worten, dass Jesus wirklich auferstanden sei, ob ich das denn auch wisse? 

In Glaubensfragen stets diplomatisch, verabschiedete ich mich geradewegs hinein in die Arme eines Alt-Hippies, der nicht mehr predigte, sondern einen Wutmonolog auf mich hielt, worauf ein anderer Herr anfing diesen zu beschimpfen, eine Frau sich aufregte und ich so tat als wäre ich gar nicht gemeint, also Luft. Die schnelle Melange im Café Prückel, schon wieder unter Familienlosen, kurz darauf, war die einer Ich-bin-noch-einmal-Davongekommenen. 
Um dann endlich, aufgemacht als würde Luchino Visconti meinen Ausflug filmen wollen, dorthin zu gehen, wo man hauptberuflich verpflichtet ist mich nett zu behandeln. Das ist meine kleine Rache an der Gesellschaft, in der Kirche sind sie alle zur Akzeptanz meiner gezwungen und ich schenke ihnen nichts. Immerhin ist die katholische Kirche doch auch einer meiner Lehrmeister in Sachen Inszenierung und ich finde, ich passe dort auch vortrefflich hinein, also dekorativ gesehen. Nach dem ich, selbstverständlich wer denn auch sonst, über die "Teufelsstiege" gestolpert und dem Pater Friedrich am Eingangstor in die Arme gefallen war, hatte ich dann auch sichergestellt, dass man mich nicht mehr vergisst.

Doch die Kirche, die Gemeinschaft vorgaukelt, ist natürlich so gemeinschaftlich nicht. Keine Spur von Aufnahme. Bei dem gegenseitigen Ostergruß wurde dem jungen Paar, das sich in der Rolle zwischen italienischen Stoffimperiumbesitzern und mafiösen Waffengroßhandel gefiel (in meinem imaginären Modemagazin für Österreich "WOG" hätte es eine Modestrecke dazu gegeben, mit dem Titel "How to Dress for Jesus"), nur von einem netten jungen Mann, der so aussah als würde er in seinen freien Stunden Lindy Hop tanzen, die Hand gereicht. Derweil sah doch der Messdiener mit seinen halblangen blonden Haaren und dem grauen Businessmantel wie ein Zuhälter aus. Ein Porsche fahrender Zuhälter sogar! Aber daran störte sich niemand, wohl weil er immer wieder himmelwärts wippend betete.

Und was wurde gepredigt? Genau, Menschen akzeptiert eure Mitmenschen mit ihren Fehlern und Narben des Lebens, benutzt weniger Photoshop, seid ehrlich zueinander und auch im Himmel werden wir nicht alle wie Claudia Schiffer und David Beckham aussehen. – Hm, das stimmte mich doch etwas nachdenklich und lässt mich über einen Kirchenaustritt ernsthaft nachdenken, irgendwie war das meine Hoffnung, zumal es in diesem Leben mit der Claudia Schiffer für mich einfach nichts mehr wird.  – Sagte man in den vier exzellent ausstaffierten Wänden, in denen Inszenierung das Tagesgeschäft ist. Irgendwie fühlte ich mich irgendwann unter den Blicken der Menschen, die selbstverständlich "mehr sind als scheinen", wie der maskierte Wolf in Lammwolle, der verführt und täuscht und nun geopfert werden sollte. Für den Seelen- und Weltfrieden. Wir sind ja nicht bescheiden. Weder die katholische Kirche noch ich. Alles oder nichts. Ich erhebe meinen Becher Messwein auf die Täuschung! 

Kirche: Jesuitenkirche, Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 1, 1010 Wien. Gehen Sie mal hin, dort ist einiges los und die Kirche sehr schön. Mehr Informationen unter: www.jesuitenwien1.at
Ich vergesse es oft, derweil ist es sehr nett dort. Außerdem optisch ja auch ein sehr passender Ort für eine Frau wie mich, aus den Fünfzigerjahren.
"zeige deine wunde": Ist auch der Titel einer Installation von Joseph Beuys aus den 1970er Jahren.
Abenteuerlustige Männer: Müssen Sie leider selber findenAber die gute Nachricht: Es gibt einige wenige auch in Wien.